Therapiekonzepte
als dogmatische oder offene Systeme
 

Daß die menschliche Psyche durch vielerlei Faktoren beeinflußbar bzw. manipulierbar ist, weiß mittlerweile jeder Europäer. Die Geschichte des letzten Jahrhunderts vermittelte uns genügend Erfahrungen darüber, wie leicht und nachhaltig Denken, Fühlen und Handeln durch Manipulation beeinflusst werden können. Die Entwicklung der Propaganda und der psychologischen Indoktrinierung durch totalitäre Ideologien hatte in dieser Zeit eine Hochkonjunktur. Es fällt jedoch auf, daß alle diese groß angelegten Versuche letztendlich scheiterten. Dieses geschichtliche Faktum läßt uns vermuten, daß eine positive ethische Ausrichtung  auf lange Sicht erfolgreicher ist als jede Indoktrination.

Jedoch muß zugestanden werden, daß zahlreiche Menschen die einmal eingeübte Ideologie für die Dauer eines langen Zeitraumes, möglicherweise eines ganzen Lebens, nicht aufgeben können.  Insofern besteht in einem solchen Fall die mächtige Prägung unangefochten weiter, gleichgültig welche realen Erfahrungen ihr widersprechen. Gehirnwäsche, Propaganda und Suggestion können den Menschen gewiß prägen, verändern und seine Psyche verformen.

Auch die These, daß Kultur und gesellschaftspolitische Wirklichkeit eine psychische Konstellation jeweils gemäß dem Zeitgeist prägen, stimmt in gleicher Weise und wird sicher Zustimmung ernten. Diejenigen, aber welche sich in unserer Gesellschaft als Bewacher der Meinungs- und Gedankenfreiheit hinstellen -  Berater und Therapeuten,  Schriftsteller oder Journalisten, Propheten und Vordenker - haben sie denn keinen ideologischen Hintergrund? Neigen sie nicht dazu, ihre Meinungen als absolut wahr zu propagieren - meist sehr "soft", gewiss;  das lächerliche Pathos und die Primitivität eines Hitlers oder Stalins sind aus der Mode gekommen. Sind aber die "soften Ideologien" in nicht wenigen Fällen zumindest in ihren Argumentationsweisen mit den genannten Vorläufern vergleichbar?   Quis custodiat custodias ipse? *

Psychologische Lehren und Beraterkonzepte sind genauso beeinflußbar und veränderlich wie unsere Psyche. Es gibt keine "reinen Lehren", welche vom Himmel fallen, sondern menschliche, zeitgebundene Konstrukte, die Moden, Trends und Zeitperspektiven unterworfen sind. Das wird jeder von uns gern zugestehen - für die Theorien der anderen. Eine Ausnahme gibt es natürlich, nämlich die eigene Lehre. Sie ist die richtige und einzig wahre.....

Schon beim Urahnen der Bewegung, S.Freud, wird die eigene Theorie zum "Bollwerk" erklärt, die es um jeden Preis zu verteidigen gilt. Bei seinen Anhängern ebenso wie bei den Gegnern wird es nicht anders: Gegner werden bekämpft, andere Denkrichtungen vehement abgelehnt und die eigenen Lehrmeinungen für sakrosankt gehalten. Damit sind psychologische Schulen ein Stück weit an die Stelle von Glaubensbekenntnissen gerückt, welche früher ihre Streitigkeiten auf dem Rücken der Bevölkerung Europas ausfochten.

Der Preis für jenen historisch gesehen kurzen Moment, in dem man sich im Alleinbesitz der Wahrheit wähnt, d.h. wo die Gegner zum Schweigen gebracht sind, ist hoch. Sprechen wir nicht von der Blockade menschlichen Fortschritts auf diesem Gebiet, den unzähligen vergeudeten Ausbildungsstunden, in welchen veraltete Theorien vermittelt werden, vom finanziellen Aufwand der Klienten für oft jahrelange vergebliche Therapien und dem Imageverlust für die Psychologie als neuer Wissenschaft.

Das alles wäre zu verschmerzen. Einige von diesen Therapien erweisen sich trotz unzulänglicher Voraussetzungen doch als zumindest hilfreich und manche dieser dogmatischen Kämpfe erbringen gewissermassen als Nebeneffekt begrenzte Fortschritte. Weder die Psychologen noch ihre Modelle sind vollkommen. Es gibt jedoch Verbreitungsformen dieser "Konfessionalisierung der Psychologie", die wegen ihrer weitreichenden negativen Folgen weder für die Betroffenen noch für ihr Umfeld akzeptabel sind.

Verglichen damit waren die Therapiemythen eines Freud, Fließ oder Janov noch harmlose Erzählkonstrukte. Beide Tendenzen, die Einbindung des Patienten in ein zeitlich überzogenes  Betreuungskonzept wie auch die "Bekehrung" der Klientel zu neuen Mythen und modernen Legenden finden ihre historischen Parallelen im Hexenwahn bzw. in der Entstehung extrem machtorientierter Religionsbewegungen.



* lateinisches Sprichwort: Wer aber bewacht die Wächter?
 
zum Anfang dieser Seite

zur Eingangsseite

Gesamtübersicht

Projekt Wegweiser

aktualisiert am 16.03.03

Copyright  ,   Bild- und Textnachweise