Johanna Wagner - ein Leben zwischen den Kulturen
Der ethnopsychologische Hintergrund moderner Therapiemodelle

V. Psychotherapeutische Elemente
in der Arbeit des Waganga

Was bedeuten Begrifflichkeiten wie Schwarze Magie, negative Kräfte, okkulte Angriffe etc. ?
Zum einen ist es, trotz vielfacher Rationalisierungsversuche und Erklärungsmodelle nicht widerlegt, daß Zauberei i.S. der paraphysikalischen Beeinflussung von Menschen, Lebewesen und Objekten allgemein möglich ist. Tatsächlich kommen auch in der konkreten Praxis der Sektenberatung immer wieder Phänome zur Sprache, die mit rational-analytischen Denkmustern nicht begreifbar sind. Da die Hypothesen von der Existenz von Zauberei, magischer Beeinflussung, „negativen Kräften“ etc. jedoch beim heutigen Stand der ethnopsychologischen Forschung nicht falsifizierbar sind, ist es müßig, sich mit diesbezüglichen Spekulationen aufzuhalten.
Zum anderen ist Zauberei als magische oder religiöse Wirkung im Sinne einer wirksamen psychischen Beeinflussung und somit als Auslöser intrapsychischer Konflikte durchaus möglich, wenn der dementsprechende ethische Rahmen gegeben ist. Dies ist in Schwarzafrika heute noch häufig der Fall. In Europa vor der Aufklärung war Zauberei in diesem Sinne ebenfalls alltäglich, was seinen extremsten Ausdruck im Hexenwahn fand (vgl. hierzu Droß 1978; Duerr 1984; ferner Davison/Neale 1983: 182 ff.). Liebes- und Geldzauber spielen heute noch in der BRD eine auffällige Rolle bei der Beratung okkult geschädigter Menschen.
Die Arbeit eines Waganga hat stets zwei Schwerpunkte, den herbalistischen (analog zur Arztfunktion im westlichen Sinne) und den psychotherapeutischen. Johanna Wagners Interesse beschränkt sich stets nur auf das letztere.
Nach den bisherigen Ausführungen ist die nicht-herbalistische Arbeit eines Waganga in erster Linie als soziale Einflußnahme zu interpretieren, das magische Moment steht bei der genaueren Betrachtung der Wirkmechanismen im Hintergrund. Im Falle von Schwarzer Magie glaubt der „sozial wertvolle, aber magisch unbegabte Mganga“ (Wagner 1985: 54) an die Wirksamkeit seiner Intervention, sprich seines Gegenzaubers. Dies wiederum bewirkt, daß er auf den Klienten überzeugend wirkt und somit Professionalität ausstrahlt. Dieser Aspekt korrespondiert mit neuesten Befunden aus der Psychotherapieforschung, wonach das professionelle Setting der therapeutischen Situation einen erheblichen Anteil am Therapieerfolg hat; d.h. selbst ein Laientherapeut kann erfolgreich Psychotherapie betreiben, wenn das Setting dementsprechend gestaltet ist  (Czogalik 1990: 12 f., 23).
Einen zweiten Erklärungsansatz liefert das Modell des Plazeboeffektes, welches die Autorin anführt: auch hierbei ist es von Bedeutung, daß der Therapeut von der Wirksamkeit seiner Intervention überzeugt ist, eine Tatsache, die durch die allgemein bekannten Doppelblindversuche hinreichend untersucht wurde

Die Autorin entdeckt im Verlauf ihres Aufenthalts in Schwarzafrika, daß sowohl die Denkweisen, wie auch die intra- und interpsychischen Prozesse der sie umgebenden Menschen nur von einem phänomenologisch-verstehenden Standpunkt aus vollständig zu begreifen sind. Es ist dies die gleiche Position, wie sie im übrigen auch von den fähigen schwarzen Heilern stets eingenommen wird: Nicht der spezifische Geist, der bestimmte Gott oder das konkrete Amulett sind die objektiv wirksamen Faktoren für die Befindlichkeit des Einzelnen, sondern der jeweilige Prozeß, den diese Faktoren in der jeweils spezifischen Situation im jeweils gültigen Kontext auf ihre ganz eigene Art und Weise beeinflussen.
Das heißt: Für einen Heiler ist es wesentlich, ganz auf das Beschreibungssystem des Gegenübers einzugehen, um die relevanten psychischen Strukturen heraus zu abstrahieren und daran anschliessend eine Lösung zu finden, die adäquat dem Begriffssystem des Betroffenen formuliert wird.
Wir kennen diese Betrachtungen aus der Gesprächspsychotherapie, und ausgehend von einem radikal konstruktivistischen Denkansatz werden diese Überlegungen in jüngster Zeit bei Bradford Keeney neu formuliert.
In Schwarzafrika sind diese Gedanken von daher nichts Neues, da das schon immer bestehende Nebeneinander von vielen hundert Stammestraditionen und großer Religionsgruppen in neuerer Zeit (traditionelle Religionen, Muslime, Christen) für eine Gruppe von Gebildeten (d.h. Wagangas oder sonstige Priester) einen solchen perspektivischen Konstruktivismus zur unmittelbaren Evidenz macht.

Von entscheidender Wichtigkeit bei der Betrachtung psychotherapeutischer Elemente sind Identifikationstrancen, die hierzulande wohl jedermann in Form von Maskentänzen, zur typisch schwarzafrikanischen Folklore verzerrt, bekannt sind. In Afrika nennt man die Identifikation, die übrigens nicht nur in Trancetänzen erreicht werden kann, Moja ya mbili - „Eins von Zwei“.
Identifikation heißt für Afrikaner (die den Begriff „Identifikation“ allerdings nicht verwenden) nicht Imitation von Dingen und Lebewesen, sondern das Eins-Werden mit ihnen, ja sogar das vollkommene Sich-Verwandeln in sie.
Ein Afrikaner hat in der Regel zusammen mit seinem Clan ein spezifisches Identifikationsobjekt, welches als besonders heilig und verehrungswürdig angesehen wird. Dies kann alles mögliche sein: ein Tier, das an den Anfang der Ahnenreihe gestellt wird, das einen bestimmten heiligen Bezirk bewohnt oder dessen Eigenschaften als besonders erstrebenswert gelten; ein bestimmter geographischer Ort, ein Gewässer, eine Pflanzenart oder eine Gesteinsformation können das spezifisch Verehrungswürdige einer Tradition sein, ja selbst die Rolle eines Menschen, einer Art König beispielsweise, kann das spezifisch Verehrungswürdige sein  .



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aktualisiert am 18.09.99

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