Johanna Wagner - ein Leben zwischen den Kulturen
Der ethnopsychologische Hintergrund moderner Therapiemodelle

VI. Die ethnotherapeutische Methode von J. Wagner

Johanna Wagner hat nun diese drei therapeutischen Kernaspekte

zu einer eigenen, sehr vielseitig einsetzbaren Methode vereint.

Ihre Methodik, die im folgenden nun dargestellt werden soll, ist mit einem rein rational-wissenschaftlichen Verständnis nicht hinreichend erklärbar, jedoch hocheffizient, wenn man der Autorin Glauben schenkt. Aus unserer langjährigen Beratung in ähnlich gelagerten Problemfeldern können wir dies weitgehend bestätigen.
 
 
Die Behandlungsweise wird von der Autorin in erster Linie zur Therapie von Akkulturationsproblemen eingesetzt, ist aber in ihren Grundzügen auch anderweitig nutzbar, bis dahin, jemandem z.B. das Rauchen abzugewöhnen.
Die psychotherapeutische Technik funktioniert folgendermaßen (120ff.):
In der ersten Sitzung hat der Klient die Gelegenheit, so lange und so ausführlich über sein Problem zu sprechen, wie er will. 
In den folgenden Sitzungen ist die Thematisierung des Problems jedoch verboten und wird von der Therapeutin gestoppt mit dem Hinweis, das Problem würde sich mit fortschreitender Übung von alleine lösen. *
Anstelle der Beschäftigung mit dem Problem steht nun die Hinwendung zu einem völlig neuen Erleben. Die Therapeutin beginnt, sich mit dem Gegenüber zu identifizieren, und zwar im oben genannten Sinne; dabei ist wichtig, daß der Zustand ohne das Defizit, wegen dem der Klient da ist, angenommen wird. 
Bei Akkulturationsproblemen geht es dabei meist um das „Verehrungswürdige“ des Klienten, das im Zuge der modernen „Verwestlichung“ von diesem vernachlässigt wurde und dadurch eine Dissonanz und somit das Problem in ihm ausgelöst hat. 
In Begriffen westlich-christlicher Theologie würde man evtl. mit R.Otto von „dem Heiligen“ sprechen; P.Tillich nennt es „das, was uns im Tiefsten angeht“.

* Hintergrund hierfür ist, wie oben bereits erwähnt, die Annahme, das Problem könnte sich sonst fixieren und „festsetzen“.



Als Beispiel beschreibt die Autorin einen jungen Kenianer, der nach dem Umzug in die Großstadt begann, unter Schlaflosigkeit zu leiden. Johanna Wagners Nachforschungen ergeben, daß der Klient seit seinem Umzug nicht mehr die rituellen Kräuterverbrennungen vorgenommen hat, welche er aus seiner Stammestradition heraus seit jeher vor dem Schlafengehen praktiziert hatte. Die Schlafstörungen waren somit ein Ausdruck dessen, daß der Klient innerlich noch nicht bereit war, in Ruhe schlafen zu gehen, weil ihm das schutzbietende Einschlafritual fehlte.
Nun wird als nächster Schritt ein Bild oder ein Gegenstand, der das ursprüngliche, das verlorengegangene Verehrungswürdige des Klienten repräsentiert, in die Mitte zwischen Therapeutin und Klient gestellt, und erstere bekundet zu diesem Gegenstand eine positive Haltung (Loben, Bewunderung u.ä.), so daß der Klient wieder die Möglichkeit erhält, zu seinem „Verehrungswürdigen Wesen“ zu stehen. Gleichzeitig beginnt die Therapeutin bereits mit der Identifikation mit dem Klienten in seiner erwünschten Verfassung und in seiner positiven Beziehung zu diesem Verehrungswürdigen.
Sie weist nun den Klienten an, die Augen zu schließen und sich völlig auf den Gegenstand zu konzentrieren. Dabei trommelt sie nebenher einen einfachen Rhythmus. Ein einheimischer Heiler würde an dieser Stelle noch andere rituelle Handlungen ausführen, etwa tanzen, singen oder opfern. Wichtig zum Verständnis ist dabei, daß diese Tätigkeiten „Hilfe zum Bewirken, nicht das Bewirkende selbst“ sind. Der Effekt, der sich nach dieser etwa 20-minütigen Identifikationstrance einstellt, ist eine deutlich positivere Einstellung des Klienten zu seinem Verehrungswürdigen, welches ihm vorher die Schwierigkeiten bereitet hatte.
Diese Sitzungen werden häufiger wiederholt, und am Ende der Therapie „überweist“ die Therapeutin den Klienten zum jeweiligen Priester, der die bisher unspezifische Arbeit noch traditionsgemäß spezifizieren soll. Auch im Transprogramming wird dem Klienten angeboten, mit Hilfe des Therapeuten seine oft vergessenen Wurzeln der eigenen Religiosität wieder zu beleben.


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aktualisiert am 18.09.99

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